Große Kinder, große Sorgen …

Gestern habe ich mich mit einer alten Freundin zum Kaffee getroffen. Beide haben wir 3 Kinder und unsere ältesten Jungs waren schon gemeinsam im Kindergarten. So haben wir über die Jahre die Entwicklung verfolgt und selbstverständlich auch immer wieder über die Sorgen und Problemchen mit unserem Nachwuchs geplaudert und uns gegenseitig beratschlagt.

Nun sind die besagten Jungs schon zu jungen Männern herangewachsen. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie uns Müttern keine Kopfschmerzen mehr bereiten! Unser Einfluss hat sich aber geändert. Wir können nicht mehr so unmittelbar auf unsere Söhne einwirken, wie früher im Kindergarten oder Schulalter. Das stellt uns vor eine neue Problematik: Wie gehe ich damit um, dass mein Kind nun eigene Entscheidungen trifft und mein Rat nicht mehr gefragt ist?

In diesem Fall hat der Sohn vorgegeben, seine Lehrabschlussprüfung erfolgreich absolviert zu haben. Die Mutter hat sich wahnsinnig über diesen Erfolg gefreut, denn die Schulzeit war kein Zuckerschlecken. Mit der abgeschlossenen Ausbildung gab es nun eine Sorge weniger, ein Beruf mit guten Jobaussichten und ordentlicher Bezahlung trägt natürlich zu einem sorgenfreien Leben bei. Auch zu dem der Eltern und das hat die Familie natürlich auch gebührend gefeiert!

Nun, einige Wochen danach, stellte sich die Sache plötzlich anders dar. Der junge Mann hat seine praktische Lehrabschlussprüfung wohl doch nicht bestanden und möchte diese auch nicht mehr versuchen. Gehört hat die Mutter das allerdings über Umwege, was verständlicherweise sehr schmerzlich war. Von ihrem Kind hätte sie bis jetzt nichts davon erfahren. Der Sohn hat sich in letzter Zeit sehr distanziert und lehnt jeglichen Rat oder Hilfe seitens der Eltern ab. Er ist immer kurz angebunden, möchte nun lieber die Matura nachmachen und die Lehrabschlussprüfung links liegen lassen.

Wie geht man als Mutter nun mit so einer Kränkung und Enttäuschung um? Vorwürfe, Gebrüll und Wutausbrüche helfen nicht weiter….das war ja eigentlich noch nie der Fall. Jetzt ist das Kind aber kaum mehr greifbar, zieht sich zurück und stellt uns vor vollendete Tatsachen. Dabei wüssten wir doch viel besser, was gut für ihn wäre….oder vielleicht doch nicht?

Als Mutter würde ich in dieser Situation wahrscheinlich dazu neigen, mein Kind auf Basis meiner eigenen Lebenserfahrung zu beeinflussen. Ich würde versuchen, es zum Wiederantritt zu bewegen, weil ein Berufsabschluss natürlich wichtig ist, darauf hinweisen, dass es um die „verlorene“ Lehrzeit schade wäre, wenn er die Sache nun nicht beendet, etc., etc,….

Aber als Freundin der Familie sehe ich die Sache mit ein bisschen mehr emotionalen Abstand. Ohne die Enttäuschung der Mutter über die Lüge.
So sehe nicht nur das Problem, sondern auch ein bisschen mehr das Kind dahinter. Den kleinen Jungen, der nicht sonderlich selbstbewusst , an sich zweifelt und überaus empfindsam ist.

Ich bin davon überzeugt, dass er seinen Weg finden wird. Mit oder ohne dieser Prüfung wird er früher oder später herausfinden, was er mit seinem Leben anfangen will.

Was würde ich ihm in dieser Situation sagen wollen?

Erstmal wäre es mir auch wichtig, ihm die Tragweite seiner Lüge klarzumachen. Ihm zu sagen:

„Du, das hat mich wahnsinnig verletzt. Du hättest mir einfach die Wahrheit sagen können!“

Gleichzeitig würde ich ihm aber auch zeigen wollen, dass ich seinen Entschluss respektiere und seine Entscheidung für mich in Ordnung ist. Ihm das Gefühl geben, dass ich ihn für fähig halte, selbst über seine Zukunft zu entscheiden. Ihn nicht mit meinen eigenen Tendenzen bedrängen, sondern in seinem Tun bestärken.

Als Mutter dreier wunderbarer, gesunder und auch völlig unterschiedlicher Jungs und mit mehr als 40 Jahren Lebenserfahrung in einer Großfamilie mit allen Höhen und Tiefen habe ich eines erkannt:

Es ist nicht wichtig, ob ein Kind den einfachen, durchgeplanten und auch von den Eltern bevorzugten Weg geht oder einen anderen, vielleicht längeren und anstrengenderen wählt. Es wird früher oder vielleicht aus später an einem selbst bestimmten Ziel ankommen.

Sicher, auf der Autobahn kommt man meist schneller ans Ziel. Aber ist es so falsch, einmal auf der Landstraße dahinzufahren, die Umgebung bewusster wahrzunehmen und so mehr vom Leben zu sehen? Sich Zeit nehmen, seine Gedanken und Eindrücke zu sortieren und das Ziel zwar langsamer, aber auf einem sicheren Weg anzufahren? Als Eltern sollten wir unseren Kindern die Wahl lassen, wie sie ihren Lebensweg gestalten wollen.

Am wichtigsten ist für uns Eltern, in entscheidenden Phasen nicht den Kontakt zu unseren Kindern zu verlieren. Gerade in Zeiten fragwürdiger Entscheidungen müssen wir ihnen zeigen, dass wir hinter ihnen stehen und an sie glauben. Wenn wir unseren Kindern diese Sicherheit vermitteln können, fragen sie uns sicher immer wieder einmal um unseren Rat.

Mit dem zunehmenden Alter meiner Söhne bekommt mein Lieblingsspruch eine ganz besondere Bedeutung:

„Wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln,

wenn sie groß sind, gib ihnen Flügel.“

 

Ihre Maria Koblicha-Rathausky

Ihre Elternwerkstatt

 

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